Leseanreiz „Männer+Strumpfhosen“
Ist schon klar: Wenn es um Ballett geht, liegt die Assoziation zu Strumpfhosen nahe – obwohl heute auch Tänzer* mit nackten Beinen oder in Stoffhosen auf den Bühnen zu sehen sind. Wie die Worte „Männer+Strumpfhosen“ (oder eine ähnliche Assoziationen weckende Kombination) im Journalismus dazu dient, die Aufmerksamkeit auf Beiträge zu lenken, ist hier schon mehrfach thematisiert worden. Das funktioniert vor allem im Karneval/Fasching und bei der Berichterstattung über Straftaten ganz hervorragend, also bei Themen, die ansonsten wegen ihrer Banalität kaum Beachtung finden würden.
Aber auch Kulturjournalisten schrecken nicht davor zurück, die offenbar als besonders frivol, exotisch oder was auch immer empfundene Verknüpfung von Männern und Strumpfhosen in den Mittelpunkt zu rücken, um die Aufmerksamkeit der Leser auf einen Beitrag zu lenken. Das demonstriert aktuell tagesanzeiger.ch. Dort wird ein episches Interview (ca. 13.000 Zeichen, 34 Fragen und Antworten) mit dem Zürcher Ballettdirektor Christian Spuck mit den Worten „Jungs finden Männer in Strumpfhosen blöd“ überschrieben.
Männer in Strumpfhosen als Selbstverständlichkeit
Abgesehen davon, dass die Autorin Nadja Pastega jeglichen Beweis für diese Aussage schuldig bleibt, spiegelt sie ein konservatives Rollenverständnis wider. Denn sie besagt: Männer tragen nun einmal keine Strumpfhosen. Natürlich finden Kinder, die ihren Vater nie in einer Strumpfhose sehen, den Anblick eines Mannes in einer Strumpfhose verständlicherweise mindestens irritierend (obwohl auch die meisten kleinen Jungen sicherlich Strumpfhosen getragen haben dürften).
Das liegt aber nicht daran, dass die Strumpfhose ein unmännliches Kleidungsstück ist, sondern dass dieses Vorurteil immer noch – nicht zuletzt durch Beiträge wie den genannten – gepflegt wird. Das Ballett zeigt dagegen beispielsweise, dass Männer in Strumpfhosen etwas absolut Selbstverständliches sein können.
Wirklich erstaunlich ist die Wahl der Überschrift aber, wenn man den gesamten Beitrag gelesen hat. Da geht es – unter anderem – um den Erfolg des Zürcher Balletts, die Ausbildung und den Konkurrenzkampf von Balletttänzern, um die Kosten einer Aufführung, um die gleichgeschlechtliche Ehe, um Schwarzmarktpreise und gesundheitliche Folgen des Balletttanzens. Dass bei diesem interessanten Themenmix ausgerechnet „Männer in Strumpfhosen“ für die Überschrift bemüht werden muss, ist geradezu lächerlich und wirft die Frage auf, ob die Verfasserin selbst Zweifel an der Attraktivität ihres Beitrags hat.
* Das Wort Tänzer wird hier nur in der männlichen Form benutzt, um den Text lesbarer zu machen, meint aber dort, wo es angebracht ist, natürlich auch Tänzerinnen.