Der Kolumnist und sein Strumpfhosentrauma
Als Kolumnist hat man es nicht leicht. Vor allem, wenn man in der Szene bekannt, möglicherweise berühmt, und sogar mit einem Eintrag bei Wikipedia geehrt ist. Man muss dann nämlich immer Erstklassiges liefern, im Falle des Berühmtseins am besten Pulitzerpreis würdige Texte. Einen solchen hat Hans Hoff vor einigen Tagen als Gastautor der Westdeutschen Zeitung verfasst; oder genauer gesagt zu verfassen versucht. Interessant für diesen Blog ist das Elaborat, weil es – unter anderem – Strumpfhosen zum Thema hat, genauer gesagt sein von ihm selbst so bezeichnetes Strumpfhosentrauma.
Das er angeblich bereits als Kindergartenkind erlitten und bis heute gepflegt hat – trotz aller möglichen Therapieangebote. Hoff musste nämlich seinen Ausführungen zufolge zum Abschluss der Kindergartenzeit die Hauptrolle im Theaterstück „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ übernehmen. Dafür musste er als Prinz nicht nur das Schneewittchen küssen, sondern, auf Drängen seiner Mutter, auch eine Strumpfhose tragen. Was der Kolumnist, so schreibt er, als „uncool“ empfand. Zudem könne er sich heute noch genau daran erinnern, „wie ich gelitten habe und wie schnell ich daheim dafür gesorgt habe, dass diese ekligen Strumpfhosen Abschied von meinem Körper nahmen“.
Beim Lesen des Beitrages bin ich mehrfach heftig ins Stocken geraten. So zum Beispiel, weil sich Hoff angeblich noch so gut an dieses Gefühl seiner Kindergartenzeit erinnern kann. Das ist bemerkenswert, denn mit Hoffs Geburtsjahr 1955 liegt das Erlebte immerhin schon fast 60 Jahre zurück. Aber vielleicht hat er tatsächlich ein gutes Gedächtnis. Erstaunlich ist jedoch einerseits, dass es in seinem Kindergarten schon Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre Coolness gegeben haben soll. Meine Frau arbeitet seit fast 30 Jahren als Erzieherin in einer Kita, das Phänomen Coolness im Kindergarten ist ihr aber erst in diesem Jahrtausend begegnet, in dem die digitale Zurschaustellung für jedermann so einfach geworden ist. Zweitens ist es gemeinhin so, dass man als Abschlussjahrgang eines Kindergartens per se zu den „Großen“ gehört und von den nachfolgenden Jahrgängen als Demnächst-Schulkind bewundert wird. Dass es innerhalb dieses Jahrgangs dann noch Coolness-Unterschiede geben soll, klingt in meinen Ohren zumindest ungewöhnlich.
Drittens, und am wichtigsten, ist die Behauptung Hans Hoffs, Jungen im Kindergarten fänden es uncool, Strumpfhosen zu tragen. Dies widerspricht sämtlichen Erfahrungen. Kinderstrumpfhosen erweisen sich im Alltag als ungemein praktisch und gehören deshalb zu den bevorzugten Kleidungsstücken fast aller Eltern. Egal ob ihr Nachwuchs weiblich oder männlich ist. Abneigungen von Jungen gegenüber Strumpfhosen entwickeln sich, wenn überhaupt, viel später, wenn sie sich in ihrem Umfeld an den – oft unerklärlich schrägen – Werten anderer orientieren. An diesem Konservativismus gegenüber dem Thema Jungen/Männer und Strumpfhosen hat sich in der Tat bis heute wenig geändert. Auch im angeblich so aufgeklärten Jahr 2019 bestimmen Ressentiments und überholte Rollenklischees die Meinungen eines großen Teils der Bevölkerung. Der Kolumnist gibt mit dem kompletten Text ein hervorragendes Beispiel für diese überholte Denkweise. Pulitzerpreis würdig? Wohl eher doch nicht.