Sheerly Genius hat seine erste Strumpfhose ausgeliefert. Ich, ein Mann, 180 cm groß, 85 kg schwer, gehöre zu den weltweit ersten 1.000 Kunden, die das neue Produkt gekauft und bekommen haben. Das von Katherina Homuth gegründete Start-up ist mit dem Anspruch angetreten, nahezu unzerstörbare Strumpfhosen zu produzieren. Selbst bei sehr rustikalem Umgang sollen die Produkte mindestens 50 Mal getragen werden können, ohne Laufmaschen oder Löcher zu bekommen oder Fäden zu ziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat man im kanadischen Muskoka eine eigene Fabrik aufgebaut und ein eigenes Garn entwickelt.
Dieses „Sheertex“ ist vergleichbar mit Garnen, die unter anderem in kugelsicheren Westen verwendet werden. Ein ähnliches Konzept verfolgt der deutsche Hersteller Bataillon Belette. Dessen Gründer Pia Buck und Daniel Moser sammelten zunächst Erfahrungen in der Autoindustrie, bevor sie sich entschlossen, äußerst robuste Strumpfhosen zu produzieren.
Die Nähe beider Unternehmen zu Industrien außerhalb der Modewelt lässt eine deutlich andere Haptik des Produktes erwarten als beim gewohnten Einsatz von Nylon. Dies ist aber bei Bataillon Belette mitnichten der Fall. So sind dessen Modelle vollkommen vergleichbar mit den Strumpfhosen anderer Hersteller. Dies sicherlich bedingt durch die Tatsache, dass bei der Produktion die „normalen“ Materialien Nylon (Polyamid) und Elastan zum Einsatz kommen.
Die Sheerly Genius Strumpfhose fühlt sich dagegen nicht angezogen zunächst tatsächlich etwas rauer an. Dieser Eindruck verschwindet aber mit dem Anziehen augenblicklich. Dann fühlt sich die Strumpfhose an den Beinen ebenso weich an wie beim Darüberstreichen mit den Händen. Für besondere Glätte sorgt dabei zusätzlich die glänzende Oberfläche.
Die Sheerly Genius Strumpfhose in der Größe L/Tall ist relativ groß. Dennoch muss ich sie beim Anziehen dehnen, bis sie im Schritt perfekt sitzt. Dies ist aufgrund der hohen Reißfestigkeit problemlos möglich. Viele Modelle anderer Hersteller reagieren auf starkes Ziehen mit spontaner Laufmaschenbildung. Das Sheerly Genius Modell hält der Belastung unbeeindruckt stand. Auch dieses Modell unterstützt meine These, Strumpfhosen seien ein Unisex-Kleidungsstück. Zwar können Männerstrumpfhosen mit speziell geformten Zwickeln oder Vorderteilen durchaus angenehmer sitzen, aber meine neue Strumpfhose bietet auch Platz genug für meine männliche Anatomie.
Durch die Kombination aus glattem Material und hoher Dehnbarkeit neigt die Strumpfhose dazu, sich wieder zusammenziehen zu wollen. Jedenfalls solange man sie auf nackter Haut trägt. Zieht man einen Slip unter oder über der Strumpfhose an, ist dieses Problem sofort gelöst. Dann bleibt sie dort, wo sie bleiben soll.
Am Bein zeigt die Sheerly Genius Strumpfhose ein gleichmäßiges Maschenbild. Allerdings ist das Material an Füßen und Unterschenkeln nicht so transparent wie an den Oberschenkeln, vermutlich wegen der unterschiedlichen Spannung. Dieser leichte Farb- bzw. Transparenzverlauf mag meinem Körperbau geschuldet sein. Er ist aber für mich ohnehin unerheblich, da ich Strumpfhosen stets unter „normalen“ Stoffhosen trage, also niemandem meine Beine in Strumpfhosen präsentieren möchte.
Sehr angenehm ist der überbreite Bund. Er wird aus wesentlich dickerem, komplett blickdichten Material als der Rest der Strumpfhose gefertigt. Er ist extrem weich und gibt mir auch nach stundenlangem Tragen der Strumpfhose nicht das Gefühl, mich einzuengen. Selbst wenn er sich nach einiger Zeit ungewollt zusammenzieht, wird es nicht enger. Da habe ich bei anderen Strumpfhosen schon ganz andere Erfahrungen gemacht.
Nett ist die Idee, den Bund hinten innen zu bedrucken. Dort finden sich Markenname, Größe und der Hinweis auf das verwendete Sheertex-Material. Gedruckt wird in dezentem Violett. Dies erleichtert die Nachbestellung. Etwa, wenn man die gekaufte Größe vergessen hat. Und es hilft, Vorder- und Rückseite zu unterscheiden, denn der Fußteil ist bedauerlicherweise nicht ausgeformt.
Der Zehenteil der Strumpfhose ist verstärkt, er ist aber leider, wie bei Strumpfhosen ohne ausgeformten Fußteil üblich, ein wenig breiter als die angrenzenden „Schläuche“ für die Beine. Möglicherweise lässt sich das in der Produktion nicht anders bewerkstelligen. Die ungleiche Breite führt jedoch dazu, dass beim Tragen links und rechts der Zehen kleine Ecken stehen bleiben.
Das steht dem Tragekomfort nicht entgegen, sieht aber nicht optimal aus. Auch hier gilt natürlich: Ich kann dieses Problem komplett unbeachtet lassen, da ich Strumpfhosen nicht aus optischen Gründen trage, sondern einfach weil es mir gefällt. Menschen mit offenen Schuhen oder Menschen, die – zum Beispiel in ihrer eigenen Wohnung – in Strumpfhosen, aber ohne Schuhe herumlaufen, könnte dieser kleine optische Makel aber möglicherweise irritieren.
Ein sicherlich durch die Produktion entstandenes Problem ist bei der Verarbeitung des Übergangs von der dünnen, eigentlichen Strumpfhose, bzw. deren Höschenteil, zum Bund sichtbar: Hier ist ganz deutlich ein Versatz zwischen linker und rechter Seite zu erkennen. Offensichtlich ist an dieser Stelle nicht sauber gearbeitet worden. Dies gilt selbstverständlich zunächst einmal nur für meine Strumpfhose.
Ob auch andere Modelle davon betroffen sind, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls steht zu befürchten, dass hier früher oder später ein Loch entstehen wird – insbesondere beim Hochziehen. Das bleibt aber abzuwarten. Vielleicht geschieht ja auch nichts.